Was genau ist eigentlich Bean-to-Bar-Schokolade?


Bean-to-bar ist ein Begriff, der eine Art der Schokoladenherstellung beschreibt und der oft mit einer bestimmten Form des Handels einhergeht.

Um von Bean-to-bar sprechen zu können, ist bestimmend, dass ein Schokoladenmacher den gesamten Prozess der Schokoladenherstellung unter (s)einem Dach vereint. Davon ausgenommen sind die Fermentation und die Trocknung der Kakaobohnen. Hierbei sind umfangreiches Wissen und Erfahrung gefragt, außerdem müssen beide Schritte nah des Ernteorts erfolgen, da die Kakaoschote eine sehr empfindliche Frucht ist, die auf lange Transporte oder Temperaturschwankungen sofort mit herben Qualitätsverlusten reagiert.


Sind die fermentierten und getrockneten Kakaobohnen dann bei den Schokoladenmachern angekommen, werden sie dort geröstet, zu Nibs gebrochen, ihre Schale wird entfernt und sie werden zu Kakaomasse gemahlen, die schließlich zu allerlei schokoladigen Köstlichkeiten weiterverarbeitet werden kann.

Was handwerklich betrachtet logisch klingt, ist jedoch keineswegs der gebräuchlichste Weg. Viele Hersteller greifen auf fertige Kakaomassen zurück und veredeln diese lediglich noch mit geschmackgebenden Zutaten.

Natürlich ist diese Art der Herstellung mit mehr Aufwand verbunden. Es werden verschiedene Maschinen und Expertisen benötigt. Der unschätzbare Vorteil daran, alle Schritte in einer Hand zu vereinen, ist, die volle Kontrolle über den ganzen Prozess zu haben.

Kakao ist ein wahres Aromen-Chamäläon

Kakao mit seinen mehr als 600 flüchtigen Aromastoffen kann im Geschmack überraschend schillernd sein – wenn man ihn lässt. Im Gegensatz zur Industrie, wo Schokolade immer gleich und möglichst Vielen schmecken muss, sind Bean-to-bar Hersteller fasziniert von der Vielfältigkeit der tropischen Frucht und arbeiten deshalb mit dem Kakao, nicht gegen ihn.
Röstzeit und Temperatur, die Dauer des Vermahlens, ob conchiert wird oder nicht, all das wird an die jeweilige Charge Kakaobohnen angepasst. Dafür werden sie belohnt mit einem weiten Geschmacksspektrum von geröstetem Brot über Waldpilze, Kaffee, Tabak, Brombeermarmelade, oder Limetten.

Meist werden für Bean-to-bar Schokolade Kakaos der Sorten Criollo, Trinitario und Nacional verwendet, denn diese Sorten haben von Natur aus ein feineres Geschmacksbild als der Konsumkakao Forastero. Doch auch hier ist es wichtig, keine Scheuklappen aufzusetzen. Auch aus Forastero-Kakao lassen sich beeindruckende Schokoladen mit Profil herstellen. Die Bodenqualität, die Pflege des Kakaobaums und die fachgerechte Fermentation und Trocknung sind für einen großen Teil der Qualität eines Kakaos mitverantwortlich.

Um möglichst viele dieser qualitätsgebenden Faktoren optimieren und von Anfang an mit einbeziehen zu können, knüpfen Bean-to-bar-Hersteller oft enge persönliche Beziehungen zu den Farmern und Kooperativen, von denen sie den Kakao einkaufen. So entstehen fruchtbare Beziehungen für beide Seiten.

So nahm Bean-to-Bar-Schokolade ihren Anfang

Bereits Anfang der 1990er Jahre begannen neugierige Chocolatiers mit Kakaobohnen zu experimentieren, und Schokolade von der Bohne weg zu produzieren. Mit der erstarkenden Sensibilisierung für Lebensmittel entdeckte man den Rohstoff Kakao neu.

Die Kakaobohne ist der Samen der Kakaofrucht und in ihr finden sich mehr als 600 flüchtige Aromastoffe. In welcher Zusammensetzung sie sich ausprägen und weiterentwickeln, hängt von zahlreichen Faktoren ab, darunter die Herkunft des Kakaos, das Wetter während des Wachstums, die Dauer und Qualität der Fermentation, um nur einige zu nennen.

Gut vergleichbar ist Kakao mit Wein oder Kaffee. Selbst Laien haben inzwischen ein Bewusstsein dafür, dass Lage, Klima oder Röstung eine wichtige Rolle dabei spielen, wie die jeweilige Frucht zu ihrer Aromatik kommt und die unter uns, die Gemüse anbauen, wissen ebenso gut, dass keine Tomate der anderen gleicht und ein besonders sonnenreicher Sommer andere Früchte hervorbringt als ein verregneter.

So also verhält es sich auch mit Kakao. Wo früher Süße und Schmelz Trumpf waren, suchen wir inzwischen nach dem Ursprünglichen, und das darf sogar gerne herausfordernd sein. Wir finden es in der Mannigfaltigkeit der Kakaobohne.

Bessere Schokolade - für alle Beteiligten

Die industriell übliche Verwendung fertiger Kakaomasse ist vor allem eines: praktisch. Günstig für den Konzern, einfach im Qualitätsmanagement und immer gleicher Geschmack. Dabei blieb jedoch ein bemerkenswerter Teil der notwendigen Produktionsschritte im Dunkeln. Wie wurde der Kakao angebaut und von wem? Wie wurde er fermentiert? Von welcher Qualität waren die Kakaobohnen?

All das war kaum herauszufinden und lange Zeit interessierte es außerhalb von Fair Trade- und Dritte Welt-Läden vermutlich auch niemanden. Wenn man so will, war der Beginn der Bean-to-bar- Bewegung gleichzeitig der Beginn einer Revolution, die sich selbst befeuert.
Das gleichzeitige erstarkende Interesse an Ernährung im Allgemeinen, sei es aufgrund von immer neuen Hiobs-Botschaften aus der Lebensmittelindustrie oder weil Ernährung ein einfaches, doch gleichwohl politisches Mittel ist, mit dessen Konsum man direkte Auswirkungen auf sich selbst und die Umwelt spürt, hat viel dazu beigetragen, Gewohntes zu hinterfragen und sich auf der Suche nach einer vertretbaren Alternative zu positionieren.

Die Menschen sind im Gros interessierter daran, zu erfahren, was ein Lebensmittel kann und darf. Im Zeitalter von knapper werdenden Ressourcen und Klimawandel werden Fragen lauter:  zum Thema Wasserverbrauch, Pestizide, Artenschutz, Biodiversität, Nachhaltigkeit.
Im Zeitalter von globaler Vernetzung und fast grenzenloser Reisefreiheit (betrachtet aus unserer priviliegierten Lage), machen wir als einfache Reisende ohne Konzerninteressen die Feststellung, dass es allen besser geht, wenn es allen besser geht.

Auf einer Reise nach Oslo hatte ich ein Erweckungserlebnis. In Oslo gibt es über die Innenstadt verteilt zahlreiche kleine Holzbauten. Diese sind teils überdacht und eine Mischung aus Sitzgelegenheiten und Unterständen. An diesen Stationen kann man Strom für sein Handy zapfen, während man einigermaßen geschützt im Trockenen an öffentlichen Orten sitzt und sogar freies WLan gibt es an diesen Holzoasen. Auf den ersten Blick mag es wirken wie eine Kleinigkeit. Auf den zweiten Blick wird deutlich, dass es ein niederschwelliges Angebot für Menschen aller Gesellschaftsschichten ist, und gerade denjenigen die Möglichkeit zur Vernetzung gibt, die sie am meisten brauchen.

Aus der Bohne wird die Tafel

Bean-to-bar setzt dort an, wo es komplex wird. Die Verwandlung von der Kakaobohne zur Schokolade erfolgt unter einem Dach.
Wenn die Kakaobohnen ankommen, sind die bereits fermentiert und getrocknet. Es gibt sogar Hersteller, die auf Fermentation verzichten, jedoch ist das keine häufige Praktik. In den folgenden Schritten wird aus der Kakaobohne köstliche Schokolade:

  1. Rösten (optional)
  2. Brechen zu Nibs
  3. Winnowing/ Entfernen der Kakaoschalen mit Hilfe von Luft
  4. Mahlen
  5. Zugabe von Geschmackszutaten wie Milchpulver und Zucker
  6. Conche (optional, begünstigt die Verflüchtigung/Abmilderung ungewollter Aromen, schafft Schmelz)
  7. Zugabe von großen Zutaten, z.B. Nüssen
  8. Temperieren
  9. Gießen
  10. Bestreuen mit Zutaten (optional)
  11. Verpacken


Die ersten 6 Schritte beeinflussen den Geschmack der späteren Schokoladen maßgeblich. Dass die Zugabe von Milchpulver, Zucker oder Vanille ihren Teil dazu beitragen ist selbstverständlich. Was aber ebenso ausschlaggebend ist:

•    die Dauer und die Temperatur der Röstung
•    das Vermahlen der Kakaonibs (welche Mühle, wie lange)
•    die Conche, so sie denn stattfindet

Der Unterschied zu industrieller Schokolade

All diese Schritte geben den Schokoladenmachern viel mehr Spiel, die Schokolade nach ihren Vorstellungen zu beeinflussen. Das Resultat sind facettenreiche Schokoladen.

Früher war es Usus, mit fertigen Massen oder Kuvertüren zu arbeiten. Diese wurden nur noch veredelt, indem z.B. Milchpulver, Zucker und Geschmackszutaten oder Nüsse hinzugegeben wurden. Die fertigen Massen kaufte man - am besten schön günstig – irgendwo ein. Diese Produkte unterlagen einem ungeschriebenen Gesetz, wie Schokolade zu schmecken hat. Möglichst angenehm, nicht sauer, nicht fruchtig, nicht bitter, nur nach – ja, Schokolade eben. Das Spektrum des Möglichen wurde völlig ausgeblendet, der Markt war noch nicht reif dafür.

Den Schokoladenmachern, die Bean-to-bar produzieren, ist die Wildheit von Kakao willkommen. Kakaobohnen sind Aroma-Chamäleons. Sie haben einen Charakter, der sich nach jedem Verarbeitungsschritt ein wenig wandelt, und doch eine Linie erkennen lässt. Er changiert von fruchtig, nussig, herb, blumig, karamellig, torfig über tabakartig und, man höre und staune, schokoladig.

Und nun sind es die Unterschiede, der Charakter, der hervorgekitzelt werden soll. Wie auch wir ist die Schokolade im Zeitalter des Individualismus angekommen. Und die verschiedenen Tafeln, Terroirs und Texturen sind bei weitem nicht jedermanns Geschmack. Es gilt zu kosten, zu vergleichen und im Zweifel sogar eine zweite Chance zu gewähren. Was vor 3 Jahren zu viel war, zu rauchig, zu viel Säure, mag nun genau richtig sein. Was in Kombination mit dem Lieblingsrotwein nicht geschmeckt hat, begleitet den favorisierten Weißen vielleicht unvergleichlich. Es hilft für den Anfang, sich auf die Beschreibung der Hersteller zu verlassen und auszuprobieren, was ansprechend klingt.

Eine Schokolade, die aromatisch auf derselben Welle wie Limette, grüne Banane und Traube schwingt? Oder doch lieber die mit Noten von Waldpilzen, Holz, Kräuter und geröstetem Brot?


Photo credit: Goodio, Martin Mayer Schokoladen